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Irreführende Werbung bei Fertigarzneimittel trotz objektiv richtiger Angaben
Datum: 24.02.2006
Kurzbeschreibung:
Der Kläger, ein eingetragener Verein, der für die Lauterkeit der Heilmittelwerbung streitet, verlangt von der Beklagten, einem pharmazeutischen Unternehmen, die irreführende Kennzeichnung eines Fertigarzneimittels zu unterlassen.
Die Beklagte bringt das frei verkäufliche Fertigarzneimittel X. in Verkehr, das über Apotheken, Drogeriemärkte und Lebensmittelhändler vertrieben wird. Auf der Faltschachtel befindet sich der Aufdruck: „EXTRA STARK - bis zu 2.700 mg Baldrian pro Dragee“: Nach den Angaben des Beipackzettels und einem kleinen Aufdruck auf der Schachtel enthält das Mittel unter anderem 450 mg Trockenextrakt aus Baldrianwurzel (3-6:1). 450 mg Trockenextrakt Baldrian entsprechen damit einem Minimalwert von 1.350 mg und einem Maximalwert von 2.700 mg Baldrian, jeweils pro Dragee.
Das Landgericht Baden-Baden hat der Klage des Vereins, die Werbung mit diesem Aufdruck zu unterlassen, stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten zum Oberlandesgericht Karlsruhe blieb ohne Erfolg. Auch der Senat geht davon aus, dass es sich um eine irreführende Werbung handelt. Die Angabe auf der Packung ist zwar objektiv zutreffend. Bei einem Trockenextrakt von 450 mg pro Dragee und einem Verhältnis von 3-6:1 ergibt sich, dass der Gehalt der Droge Baldrian zwischen 1.350 mg und 2.700 mg pro Dragee liegt. Auch eine objektiv zutreffende Angabe kann jedoch irreführend sein. Das ist dann der Fall, wenn ein beachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise mit einer objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet. Abzustellen ist dabei auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers. Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise versteht die angegriffene Aussage dahin, dass der Gehalt an Baldrian pro Dragee bei 2.700 mg oder doch jedenfalls nicht wesentlich niedriger liegt. Dieses Verständnis ist vor allem deshalb zu erwarten, weil die Angabe durch die Hervorhebung auf der Schachtel und durch den Zusatz „Extra stark“ besonders betont wird und dem Publikum bekannt ist, dass die Wirkung eines Arzneimittels in der Regel von der Menge des Wirkstoffs abhängig ist. Gerade deshalb wird der durchschnittlich informierte Verbraucher nicht erwarten, dass ein Wert werbend hervorgehoben wird, der nur im günstigsten Fall erreicht wird, der aber ebenso gut nur die Hälfte betragen kann. Dem steht nicht entgegen, dass die Angabe zur Wirkstoffmenge durch den Zusatz „bis zu“ eingeschränkt ist. Der Verbraucher wird dies darauf zurückführen, dass gewisse Abweichungen durch die Fertigung des Arzneimittels oder durch natürliche Schwankungen des Wirkstoffgehalts in der Pflanze nicht völlig vermieden werden können. Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Angabe jedoch dahin, dass der Wirkstoffgehalt den optisch hervorgehobenen Wert von 2.700 mg nicht wesentlich unterschreitet. Die Angabe zur Menge des Trockenextrakts pro Dragee verbunden mit der Angabe 3-6:1 steht diesem Verständnis nicht entgegen. Auch wer die Packung in die Hand nimmt und die Angaben über die Zusammensetzung liest, wird nicht ohne weiteres die Verbindung zwischen der dort angegebenen Menge des Trockenextrakts zu der Angabe der Wirkstoffmenge im Aufdruck herstellen. Voraussetzung hierfür wäre, dass dem Verbraucher bekannt ist, wie solche pflanzlichen Arzneimittel hergestellt werden. Diese Kenntnisse sind aber bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher nicht vorhanden.
Die Feststellung dieser Verkehrsauffassung durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden, die Ermittlung des Verkehrsverständnisses kann in der Regel ohne sachverständige Hilfe erfolgen, wenn die entscheidenden Richter wie hier selbst den angesprochenen Verkehrskreisen angehören. Eine Umfrage durch ein Marktforschungsinstitut ist daher nicht veranlasst.
Mit den wirklichen Verhältnissen stimmt die bei einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise erweckte Erwartung der Verbraucher nicht überein. Damit hat der Kläger einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 22.02.2006 - 6 U 86/05 -